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Nicht nur zu Weihnachten: China braucht für seine Superschnellzüge die Deutschen nicht mehr

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Bild zu: Nicht nur zu Weihnachten: China braucht für seine Superschnellzüge die Deutschen nicht mehr

Von CHRISTIAN GEINITZ, Peking

Im Hilton-Hotel in Peking fährt eine Spielzeugeisenbahn durch eine wunderbar deutsche Weihnachtswelt. Nur dass der ICE hier LCE heißt und das Kürzel der Deutschen Bahn nicht DB, sondern LB. Das ist ganz legal, die Analogie nutzt der Modellbauer LGB weltweit. Im Großen aber brauchen die Chinesen Siemens schon lange nicht mehr, um die Hochgeschwindigkeitszüge zu bauen: In diesen Tagen eröffnen sie die längste Rennstrecke der Welt ganz allein.

In der Empfangshalle des Hilton Hotels an der Dongfang-Straße im Nordosten Pekings steht einer der großartigsten Weihnachtsbäume in der chinesischen Hauptstadt. Eigentlich ist das riesige Gewächs eher unspektakulär, es folgt der typischen getrimmten Kegelform, welche die Chinesen – wie fast alles zum Christfest – bei den Amerikanern abgeguckt haben. Was die Anordnung so besonders macht, ist die Miniaturwelt zu Füßen der wuchtigen Glitzerei. Um den Stamm herum surrt auf vielen Gleisen neben- und übereinander eine Modelleisenbahn durch eine europäische, eine alpenländische, ja eine deutsche Weihnachtswelt!

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Auf dem Spielzeug-Dorfplatz, wo ein Mann mit Leiter einen für seine Verhältnisse ebenfalls kolossalen Christbaum schmückt, parkt ein deutsches Polizeiauto – aus einer Zeit, als die Ordnungshüter noch VW-Käfer fuhren und ihre Farben Grün-Weiß waren. Der Bahnhof hier heißt „Rosenbach”. Unklar ist, um welche der fünf Ortschaften dieses Namens, die Wikipedia kennt,  es sich dabei handelt. Vermutlich nicht um die im Vogtland oder in der Oberlausitz, das passt nicht zu den Automodellen; bleiben noch zwei fränkische und eine hessische Variante. Das im Modell benachbarte Schönweiler vor einem imposanten Viadukt ließ sich auf „Maps” nicht finden.

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Die Werbung auf den Zügen und Werbetafeln ist echt, sie finanziere das Projekt, sagt ein diensteifriger Hotelmitarbeiter. Die Sache dient – natürlich zu dieser Jahreszeit – einem guten Zweck: überall stehen Sammelbehälter für „Roots & Shoots”, ein Programm, das chinesischen Jugendlichen die Um- und Tierwelt näherbringen soll. Zu den Geldgebern, die auf den Waggons auf sich aufmerksam machen, gehören die Deutsche Bank, Nesquik, T-Mobile und sogar das gute Bremer Beck’s Bier, obgleich es das in China fast nirgendwo zu kaufen gibt (leider!).

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Die Deutsche Bahn und der Zughersteller Siemens ließen sich offenbar nicht erweichen, wiewohl das doch so gut zu dem Märklin-Ambiente gepasst hätte. Dennoch erinnert die Anlage an beide, denn die weißen Hochgeschwindigkeitszüge vom Typ ICE schnurren flink über die Schienen der Pekinger Winterwelt. Nur dass sie hier (in identischer Typographie) „LCE” heißen. Gleiches gilt für das rot umrandete DB-Logo der Deutschen Bahn auf der Zugnase, das hier „LB” heißt. Das ist ganz legal, diese Analogie nutzt der Modellbauer LGB, der inzwischen zu Märklin gehört, in aller Welt.

Dennoch entbehrt die Sache nicht einer gewissen Ironie, denn tatsächlich bauen die Chinesen heute die ICE-Züge massenhaft nach – in Originalgröße. Auch das ist wohl nicht illegal, schließlich hat man die Renner für die erste Hochgeschwindigkeitsstrecke zwischen Peking und seiner Hafenstadt Tianjin noch in einem Gemeinschaftsunternehmen hergestellt. Heute liefert Siemens allenfalls zu, der größte Teil der Wertschöpfung liegt bei den Asiaten selbst.

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Das Prinzip ist immer dasselbe: Man hat bei den Westlern gelernt und kann es jetzt allein. Wie zum Beweis dafür nimmt China pünktlich zu Weihnachten die längste Hochgeschwindigkeitsbahnstrecke der Welt in Betrieb.  Vom 26. Dezember an verkehren direkte Züge zwischen Peking und Kanton (Guangzhou) in Südchina. Die Entfernung von rund 2300 Kilometern wird in etwa 8 Stunden zurückgelegt. Das entspricht einschließlich der Bahnhofsaufenthalte einer Durchschnittsgeschwindigkeit von brutto 290 Kilometern in der Stunde.

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Mit der Eröffnung entthront sich China gewisser Maßen selbst, denn bisher galt die 1320 Kilometer lange Verbindung zwischen Peking und Schanghai als die längste Trasse der Welt. Nach einem schweren Unfall und mehreren Korruptionsskandalen – die dem Eisenbahnminister und dem Chefingenieur für Hochgeschwindigkeitszüge die Stellen kosteten – war das Ausbauprogramm für weitere Expressrouten gedrosselt worden. So hätte die Südachse im laufenden Jahr eigentlich nicht nur Kanton erreichen sollen, sondern auch das noch 200 Kilometer weiter entfernt liegende Hongkong. Schon jetzt unterhält China das längste Hochgeschwindigkeitsnetz der Welt, bis 2015 soll es 16.000 Kilometer erreichen.

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Doch zurück zur Weihnachtswelt im Hilton. Die vermeintliche Abkupferei, die gar keine ist, hat einen ernsten Kern, denn China ist das mit Abstand wichtigste Herkunftsland für Produktpiraterie. 2010 haben die Zöllner der EU insgesamt rund 103 Millionen gefälschte Produkte in 80.000 Sendungen aufgebracht, fast doppelt so viel wie im Vorjahr. Den Wert der Güter bezifferten sie auf eine Milliarden Euro. 85 Prozent der illegalen Importe stammten aus der Volksrepublik. In Deutschland hat die Markenpiraterie nach Angaben des DIHT 70.000 Arbeitsplätze vernichtet. Die OECD schätzt das Volumen aller weltweit verfügbaren illegalen Kopien auf 180 Milliarden Dollar im Jahr.

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Doch das soll uns zur Weihnachtszeit natürlich nicht verdrießen. Vielmehr freuen wir uns, dass wir so schöne Geschenke gefunden haben, zuletzt diesen Bären mit dem Steiff-Gütesiegel auf der Brust (für dergleichen haben wir eine Schwäche, siehe: So gut wie Steiff: Zu Weihnachten Öko-Plüschtiere aus China). Den Treublickenden bietet die „Marina City” an, das schickste Einkaufszentrum in der Hafenmetropole Qingdao auf halber Strecke zwischen Peking und Schanghai. Die pompöse westlich gestaltete Mall liegt in einem neuen, für die Segelwettbewerbe der Olympischen Spiele 2008 angelegten Vorzeigeviertel direkt an der Küste. Beim genaueren Hinsehen entpuppt sich das Plüschtier als ziemlich plumpe Fälschung made in China. Nur der Preis hat es fast ebenso in sich wie beim Original. Der Zottel soll 388 Yuan kosten, das sind 47 Euro. Frohe Weihnachten aus China!

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Fotos: itz.

von itzi erschienen in Akte Asien ein Blog von FAZ.NET.


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